Am Schlammkohlebecken

Das Abtragen von Schlammkohle sowie das Betreten und Baden in der Kläranlage ist bei Strafe streng verboten. Die Zechenverwaltung.

Jakob schüttelte den Kopf: Baden im Schlammkohlebecken! Wem galt denn das Schild? Den Lastwagenfahrern hin zur Zeche? Die Zeile Gebüsch und Geschlinge endete, die Piste bog scharf nach rechts ab und Rinkendeel sagte: „Na, so was!“ Der Maschendrahtzaun um das Absetzbecken war wegseitig hochgezogen. Im Becken befanden sich zwei Dutzend Männer und Jungen in Unterhosen oder Lendenschurzen. Einige tauchten unter, um zu gründeln. Andere wateten zum Rand, in den Händen Tücher, Säcke, Körbe oder Eimer gefüllt mit triefenden Klumpen der Minderkohle, zwei, drei trugen auf ihren Unterarmen große Flatschen und gerollte Lagen von fest verbackenem Kohlenschlamm aus dem tiefen Grund. Alle klatschten ihre Beute auf die Matsche des Randstreifens. Auf dem warteten in einer langen Reihe Frauen, Mädchen, kleine Jungen und alte Männer darauf, den Kohlenschlamm aufzuraffen und in Handwagen oder zweirädrige Karren zu werfen, die längs des Zauns die Lehmpiste entlang standen. Ihre Werkelei galt einem Brennmaterial, das die Wohngelasse verqualmen würde. Jetzt setzten sich zwei der Handwagen in Bewegung, ein jeder gezogen von einer Frau in einer Kleidung, von der Jakob nicht zu sagen gewusst hätte, ob sie aus Rock und Bluse mit übergeworfenem Kittel bestand, aus einem Kleid mit einer Schürze oder lediglich aus mehreren übereinander gezogenen Leinen- oder Jutesäcken. Die Kleidung der Frauen war schwarz verschmiert. Sie gingen barfuß. Füße und Unterschenkel waren verdreckt. Aus den Wagen und Karren rinnsalte dunkles Wasser und zog eine Spur ihres Wegs. Jakob näherte sich in langsamer Fahrt den hinteren der Wagen, stützte dabei manchmal das Motorrad mit den Füßen ab. Eine zierliche Frau hing schräg nach vorn an der Deichsel und zog rasselnd atmend ihre Last. Jakob fuhr vorbei und näherte sich zwei kleinen Mädchen in schlammigen Unterhemden und Schlüpfern, die sich mit gestreckten Armen gegen das Rückbrett eines Handwagens stemmten und dem Gefährt mit seinen schlingernden, quietschenden Rädern Schub verliehen. Die Frau an der Deichsel knickte bei jedem Linksschritt ein, so, als bereitete ihr das Gehen mit diesem Bein Schmerzen oder als hätte sie links keine Kraft. Zog sie den Wagen durch eine Pfützengrube, stieß sie einen summenden Laut aus. Die Mädchen sahen nicht auf, als Jakob an ihnen vorbeifuhr. Niemand sah zu ihnen hin. Es war, als bewegten sie sich durch eine Gruppe von Scheingeschöpfen.

Horst Hensel: Salz und Eisen. Band 1: Am Schlammkohlebecken. Im Vorwerk (Auszug)

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